Erste Sprachkunde (3. Klasse) – Vom Ganzen in die Teile

Hier also mein erster Eintrag in das Weblog.
Dieses Weblog soll die Arbeit des Fichte-Instituts unterstützen und Erfahrungen und Erkenntnisse veröffentlichen – ohne gleich einen Artikel daraus zu machen.
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In den letzten Wochen fand in meiner derzeit 3. Klasse die erste Sprachkunde-Epoche statt. Ich habe die Epoche diesmal anders angefangen, als gewohnt. In meinem ersten Durchgang habe ich versucht – wie üblich – den Kindern die drei wichtigsten Wortarten beizubringen: die Hauptwörter, die Tuworte, die Wiewörter. (Substantive, Verben, Adjektive bzw. Adverbien) In den Jahren danach, als Mentor verschiedener Kollegen, erlebte ich es ebenso.
Der Idee folgend, dass die Kinder am besten gedeihen, wenn man sie aus dem Ganzen die Teile selber finden lässt, (analysierend arbeiten) ging ich diesmal vom Satz aus. Das liegt auch in anderer Beziehung sehr nahe: Wie in der künstlerisch-seelischen Bewegung (Eurythmie) ab dem neunten/zehnten Lebensjahr die Plastizität sinnvoll geübt werden kann, so gilt das auch für alle anderen Gebiete des Lernens. Man bringt den Kindern, die es nicht wie von alleine lernen, den Satzanfang und den Punkt am Ende des Satzes am besten in diesem Alter bei. Der Satz ist eine plastische Einheit, oftmals der Absatz eine größere und – meinetwegen – die ganze Erzählung die größte plastische Einheit. In dieser Art besprachen wir es in der Klasse und lasen Teile aus den Projektarbeiten der Kinder nun noch einmal aus sprachlicher Sicht.
Mit einigen Kindern hatte ich in der Planung der Epoche ein Problem: sie erlebten bis dahin die plastische Einheit des Wortes noch nicht sicher. Diese Kinder stiegen zum Glück auch sehr gut in den neuen Gestaltungs- und Analyse-Prozess ein.
Natürlich gab es Kinder, die gleich sagten: „Am Anfang des Satzes wird immer groß geschrieben, gleichgültig, welches Wort das ist!“ „Ja, genau, so macht man das.“ Es gab immer noch Kinder, die noch so vollständig im lautierenden Schreiben lebten, dass sie auch die Wort-Trennungen nur am Anfang ihrer Texte beherzigten. Nach dem dritten, vierten oder fünften Wort wurde es dann ein Bandwurm – ohne Platz zwischen den Worten und ohne Punkte. Diese Kinder sprachen unhörbar leise beim Schreiben mit und konnten fast alle Laute gut finden. Die Reflektion war aber noch nicht groß genug, um nach jedem Wort eine kleine Lücke zu lassen. Ich ließ nur als Notlösung zu Sternchen oder Punkte zwischen die Worte zu setzen. Das führte, wie ich es mir gewünscht hatte, dazu, dass es nur selten angewendet wurde und die Kinder ein wenig verlegen lächelten, wenn wir es zusammen anschauten. Kurz: Das Achten auf plastische Einheiten ist ganz bei den Kindern angekommen. Sie gestalteten Worte, Sätze, ihren ganzen Text – und schrieben nicht etwa einfach nur immer weiter, bis jeweils die Zeit um war.
Natürlich schreiben die Kinder alleine. Das Abschreiben von der Tafel ist ja ohnehin mittlerer Unsinn. Besonders hat mich gefreut, als ein Hospitant (ein Dozent eines Seminars) die Bemerkung machte, die Kinder schrieben – selbst wenn ich an die Tafel schriebe – immer selbst. Alle Kinder seien in ihr Schreiben vertieft, sähen nur kurz zur Tafel um zu lesen. Sie läsen an der Tafel und schrieben dann selbständig, oft auch ein wenig anders, nur sinngemäß richtig. Und oft mit Fehlern. (- wenn man vom orthographischen Gesichtspunkt aus sieht, nicht vom Gesichtspunkt des lautgerechten Schreibens)
Dass dies auch die Kinder tun, die noch sehr schlecht schreiben können, ist ein besonders glücklicher Umstand ihres Lernens und weiteren Fortschrittes.
In dieser Weise in das Achten auf die Plastizität der Sprache eingeführt, fingen die Kinder nun an den Satzbau und die drei wichtigsten (oben genannten) Wortarten zu untersuchen.
Nun gab es sofort Kinder, die alle drei Wortarten gleich erkannten. Dann gab es eine Gruppe – eher fantasie-ärmere Kinder – die sich besonders über die Hauptworte freuten.
Zu den Tuworten, den Verben, sagte ich, dass es da viele gebe, bei denen sich etwas bewegt oder etwas getan wird. Das Entscheidende sei aber, dass im Satz etwas wie eine Tätigkeit da ist. Z.B.: „Das Haus ist gelb“. Oder auch: Das Bild hängt an der Wand. Das leuchtete vielen Kindern sofort ein. Ganz im Gegensatz zu meinen bisherigen Erfahrungen, fiel es nun dem größten Teil der Klasse leicht, überall die Tuworte zu finden, ein Gefühl für die Verben zu entwickeln.
Fast ebenso gut funktionierte es, die Kinder auf das Suchen der Eigenschaftsworte hinzulenken. Als ich gerade wieder einmal einen Satz formuliert hatte – von einem Kind vorgeschlagen, von mir aufgegriffen und mit allen wiederholt – bemerkte ich, dass er kein Eigenschaftwort enthielt. Ich forderte dazu auf, nun noch welche einzufügen. Wie unkindlich das Synthetisieren ist, zeigte sich sofort: Es meldeten sich nur noch sehr wenige Kinder und diese fingen sofort an, in eher abstrakter Weise Eigenschaftsworte einzufügen.
Ein Mädchen und ein Junge machten da eine Ausnahme. Das Mädchen geht schon seit langem sehr eigenständig mit Sprache um, hat einen Teil unseres Franziskus-Spieles selbst geschrieben und gereimt und verbringt den größten Teil ihrer Arbeit an ihren Projekten mit Schreiben. Der Junge fiel schon des Öfteren dadurch auf, dass er viel reflektiert und dass er die Tiefen des Daseins bereits sehr reif erlebt. Dieser Junge fing sofort an nach Eigenschaftsworten zu suchen, die besonders schön zu dem Satz passten. Er fasste auch gleich dazu noch in Worte, wie der Satz sich jeweils anders anfühlte.
Einige Tage später fragte ein Kind: „Ich habe noch nicht wirklich verstanden, was diese Wie-Worte sind“. Da meldete sich dieser Junge: „Weißt du, das ist so wie die Färbung von etwas. So wie: Das gelbe Haus. Man könnte auch sagen: Das rote Haus. So war es auch gerade in unserem Beispiel: Der weiße Nebel zog leise durch die Zweige der Bäume.“ Die Worte des Jungen klangen ganz so, als wäre für ihn das wirklich fast das gleiche. Alles das war die Färbung von etwas. Die Hospitantin, die gerade zu Besuch war, sagte sofort: „Das hast du sehr schön ausgedrückt“. Sicher hat diese Bemerkung dazu beigetragen, dass der Junge seinen Ausdruck nun eine ganze Woche benutzte. Das Gefühl trat dabei naturgemäß nicht mehr so schön lebendig zutage, wie beim ersten Mal, dafür war es nun ein bleibender Besitz geworden und anderen Kindern z.T. eine Hilfe.
Am nächsten Tag ereignete sich mit dem besagten Mädchen etwas besonders Schönes: Ich sagte: „Unser glatter Boden ist aus Eichenholz. – Wo sind Hauptworte?“ Nun meldeten sich Kinder und sagten: „Boden und Holz.“ Und nun fragte ich: „Und wo sind Eigenschaftworte, Wieworte?“ Das Mädchen meldete sich und sagte: „glatter und Eichen.“ „Das hast du genau richtig heraus! glatten ist ein Eigenschaftwort und Eichen sozusagen auch. Hier ist es zwar ein Hauptwort; und zusammen mit den andern Wort Holz sogar ein Doppelwort. Aber es ist trotzdem eine Eigenschaft. Wir könnten ja auch sagen: Unser Boden ist aus eichenem Parkett. Dann ist es noch mehr so, wie du es, glaube ich, meintest.“ Das Mädchen war ganz bescheiden glücklich und machte bald selbst noch ein Beispiel der Adjektivierung eines Hauptwortes.
Nun haben nach vier Wochen die meisten der Kinder einen Begriff der drei Wortarten und ein Gefühl für den Satz. Viele Kinder haben auch ein wenig ein Gefühl für den Satz-Ausgangspunkt, (Subjekt) die Tätigkeit (Verb, Prädikat) und das vielfältige und komplexe (und oft fehlende) Ende des Satzes. (Objekt, adverbiale Ergänzung usw.)
Was wurde orthographisch in der Epoche erworben? Die Zahl der Kinder, die Hauptworte groß schreiben, ist gewachsen. Die sprachlich sehr wachen Kinder unterscheiden nun innerlich sehr genau den Grund der Großschreibung: Satzanfang oder/und Hauptwort. Und manche Kinder, die die Hauptworte noch nicht sicher empfinden, schreiben doch bereits den Satzanfang groß. Weniger, weil davor ein Punkt ist, als weil sie empfinden, dass hier etwas Neues beginnt. Denn auch den Punkt davor setzen Sie ja nur, wenn sie das Ende des Satzes erlebt haben. Nur wenige Kinder haben im Kopf, das zu einem Satz eigentlich unbedingt ein Tuwort gehört. Wir haben zwar drüber gesprochen, es entfällt ihnen aber beim Schreiben. Das ist gut zu beobachten. Während des Schreibens sollte man sie bestimmt nicht in dieser Richtung stören. Das Bewusstsein lieber beim nächsten Mündlich-im-Kreis-sitzend-Arbeiten pflegen! Im Willens-Teil des Hauptunterrichts mit dem arbeiten lassen, was sie von sich aus können! Im Übrigen wurde orthographisch erworben, dass Verben kleingeschrieben werden. Das haben wir auch vorher schon so gemacht. Nun aber wird es zuweilen beim Schreiben erlebt. Das ist ein sehr schönes Aufwacherlebnis. Viele haben auch schon ein lebendiges Gefühl für das Objekt und für die adverbiale Ergänzung – noch ohne, dass sie differenzieren könnten. Das ist ja auch im Moment gar nicht dran. Wohl aber ist es an der Zeit, ein Gefühl für die Plastizität des Satzes künstlerisch zu verlebendigen.
Was also sicher da ist (bei fast allen Kindern): die Groß- und Kleinschreibung, die Setzung eines Punktes, die Funktion des Wörtchens und zum Verbinden zweier vollständiger oder halb vollständiger Sätze, die Unterscheidung der Haupt-, Tu- und Eigenschaftworte.
Das Übliche wäre, dass diese drei Wortarten gekonnt würden, das Gefühl für den Satz als Ganzes aber gerade nicht lebendig geworden wäre. Manchmal sieht man noch Kinder in der siebten bis zehnten Klasse, die nur die Wortarten wirklich sicher beherrschen, mit Sätzen als künstlerischem Mittel menschlichen Ausdrucks grammatikalisch aber wenig anfangen können.
Herzliche Grüße,

Tobias Schaumann

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